Keltenpodcast – Episode 9

Keltische Religion (Teil 2): Archäologischer Kontext


Signation und Outro, Musik: Tin whistle by louis_audp, shared on Freesound, CC Attribution 3.0 license
Jingle, Musik: Irish dancing by tim.kahn, shared on Freesound, CC Attribution 3.0 license


Die überlieferten Texte antiker Autoren zeichnen den Großteil des heutigen Bildes über keltische Religion. Die unbestimmte Idee von Religion ist jedoch nicht empirisch bestimmbar. Der Glaube selbst spielt in einer Religion nicht immer eine Rolle, doch gibt es keine Religion ohne irgendeine Form von Kultus. In der Archäologie lässt sich Religion nur durch gewisse Manifestation fassen, als Ausdruck kultischer Handlungen: um mit Göttern in Kontakt zu treten oder bestimmte Bereiche zu beeinflussen. Diese Handlungen werden erst durch wiederholte Durchführung zu einem Ritus – sei es in alltäglichen Aktivitäten oder zu einem bestimmten Zweck oder Anlass. Werfen wir einen Blick auf Österreich, so gibt es regional und zeitlich sehr unterschiedliche Arten der Religionsausübung. Sehen wir uns die archäologischen Quellen an: sogenannte Depotfunde. In einem solchen Depot finden sich Gegenstände in unmittelbarem, räumlichem Zusammenhang. Manchmal handelt es sich dabei um einmalige oder wiederholte Weihefunde – eine Übereignung von Opfergegenstände als Zeichen von Verzicht, Hingabe oder Darbringung. Den genauen Niederlegungsgrund oder die Absicht dahinter zuzuordnen oder die mögliche intendierte Gottheit, ist schwierig. Waffen wurden bereits seit der Jungsteinzeit geopfert – vor allem tatsächlich verwendete Waffen, keine Prunkwaffen. Sie finden sich überwiegend, aber nicht ausschließlich, in Gewässern. Depots sind auch in der Bronzezeit bekannt und erscheinen im mittleren Alpenraum in der jüngeren Eisenzeit zunächst auf Brandopferplätzen. Ein Beispiel aus der Früh- und Mittellatènezeit ist der Waffenfund vom Förker Laas-Riegel in Kärnten. Die niedergelegten Waffen sind dabei häufig unvollständig oder stark fragmentiert. Dies kann als rituelle Zerstörung gedeutet werden – indem die Waffen absichtlich verformt oder zerteilt wurden. Vielleicht auch, um sie unbrauchbar zu machen.

Der offensichtlichste und häufigste Bezug zu einer möglichen Religion kann durch Gräber und Bestattungen hergestellt werden. Doch inwieweit setzen Bestattungen und Totenbräuche Religion voraus? Bildliche Darstellungen von Riten und Begräbnisfeierlichkeiten, z. B. von einem Leichenzug, fehlen. Organisches Material wie Holz und Stoff hat sich zum Großteil nicht erhalten, also ist das Bild der Fundumstände nicht vollständig. Die Gräber lassen eine intensive Kontinuität über Generationen hinweg erkennen und können so einer gewissen Tradition zugerechnet werden. Die Grabbeigaben geben Hinweise auf gesellschaftliche Stellungen, doch kaum über religiöse oder Jenseitsvorstellungen. Sie lassen sich auch mit Prestigebedürfnis oder anderen Gründen erklären, ohne mythisch-kultischen Vorstellungen. Vorstellungen der Kelten über eine mögliche „Andere Welt“ lassen sich nicht fassen. Grab- und Weiheinschriften sind zum Großteil in lateinischer Sprache verfasst, genannte Götternamen wurden dem römischen Pantheon angepasst. Aufschluss über mögliche Gottheiten geben noch Darstellungen. Griechen und Römern haben sich ihre Götter mit menschlichem Aussehen vorgestellt, mit menschlichen Launen und Emotionen – aber trifft das auch auf die Götter der Kelten zu? Bereits im 6. Jh. v. Chr. entstehen (unter mediterranem Einfluss) Steinfiguren, zum Beispiel die Kriegerstatue von Hirschlanden (Deutschland) oder ein sitzender Krieger mit Schild in Vix (Frankreich). Im 5. Jh. v. Chr. folgen weitere, wie die Statue vom Glauberg und auch das einzige Zeugnis einer Monumentalskulptur der Kelten in Italien, die Statue von Bormio. Die Interpretation dieser zahlreicher werdenden Darstellungen wirft Probleme auf: zeigen sie Götter oder vielleicht heroisierte Verstorbene? Auch die Archäologie kann somit kein keltisches Pantheon rekonstruieren und vieles spricht für die lokale oder regionale Gebundenheit mehrerer Gottheiten.

Religion kann sich auch an, unterschiedlich benannten Orten wie Kultstätten und Heiligtümer widerspiegeln. Definiert nach bestimmten Kriterien, zum Beispiel die wiederholte Deponierung von Objekten mit eingeschränktem Fundspektrum. Die lateinische Übersetzung des gallischen Wortes nemeton kann zumindest auch Heiligtum oder Tempel bedeuten – ein heiliger, einer oder mehreren Gottheiten geweihter Ort (ohne Bezug auf Form oder genaues Aussehen der Kultstätte). Vor allem in Frankreich gibt es einige bemerkenswerte architektonische Anlagen mit Waffen- und Knochenfunden, die als Heiligtümer angesprochen werden. Die Funktion dieser Heiligtümer wurde über Vergleiche zu griechischen und römischen Kultstätten definiert, ohne kennzeichnende Merkmale eines Heiligtums endgültig festlegen zu können. Es gibt solche Heiligtümer aber in großen Teilen Europas, auch in Österreich. Ein frühes Beispiel aus der älteren Eisenzeit ist das Passheiligtum auf der Pillerhöhe zwischen dem oberen Inntal und dem Pitztal; ein späteres Beispiel der Frauenberg in Leibnitz in der Steiermark. Dort lässt sich an unterschiedlichen Stellen eine Besiedlung von der Spätlaténezeit bis in die provinzialrömische Zeit nachweisen, aufgrund der Funde und der Erwähnung bei verschiedenen antiken Autoren wird eine überregionale Bedeutung angenommen. In Zusammenhang mit Heiligtümern steht auch der Begriff der sogenannten Viereckschanzen, deren Namensgebung 1910 erfolgte. Ein latènezeitlicher, vor allem ländlicher Siedlungstyp in ungefähr quadratischer Form, meist mit Erdwall und vorliegendem Graben. Ihre Deutung, auch als mögliche Kultstätten, ist bisher ungeklärt. Es gibt nur eine gesicherte Viereckschanze in Österreich, in Göming bei Salzburg, die ins 2. bis 1. Jh. vor Christus datiert.

In vielen Heiligtümern werden Opfergaben entdeckt: Waffen, Tierknochen bis hin zu menschlichen Überresten, wie in der latènezeitlichen Großsiedlung von Roseldorf in Niederösterreich. In der Mitte der dortigen Kultanlage befand sich eine rechteckige Grube mit Funden, datiert zwischen das Ende der Früh- und Mittellatènezeit. Kommen menschliche Überreste in großer Anzahl vor, wird vorteilig von Menschenopfern gesprochen, auch wenn es Sonderfälle bleiben. Diese Opferfunde sind schwer zu interpretieren. Die erhaltenen Überreste lassen nur selten Rückschlüsse auf die näheren Todesumstände zu. Gerne werden auch Moorleichen zum Vergleich herangezogen. Aus Österreich gibt es zum Beispiel von oben herabgefallene Körpersturzlagen und partielle Knochenerhitzung in Leonding bei Linz, oder Beispiele von Schädelamulettfunden aus Inzersdorf/Walpersdorf im Unteren Traisental in Niederösterreich. Auch die dort in Gruben deponierten Kleinstkinderskelette weisen auf kultisch-religiöse Praktiken hin. Tatsache ist, es kommen unterschiedliche Knochen in Kultstätten vor: vor allem Langknochen, Schulterblätter und Schädel, mit unterschiedlicher Verteilung – manchmal in Gräben, in anderen Fällen an einem besonders prominenten Platz. Die Bandbreite der gefundenen Skelette ist sehr groß, unterschiedlichsten Alters, gesund oder krank. Es wird davon ausgegangen, dass auch manche der Überreste weiblich sind.

Im Zusammenhang mit den Kelten spielt v. a. der menschliche Schädel als Trophäe und Weihegabe eine wichtige Rolle. Der Mythos der keltischen Kopfjagd wird bei antiken Autoren erwähnt, doch die Idee eines ausgeprägten, mit Spiritualität durchzogenen keltischen Kopfkultes entwickelte sich erst während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert. Es gibt literarische Zeugnisse in kriegerischem Kontext, weniger in einem direkt religiösen. Doch wie eng waren diese beiden Bereiche miteinander verknüpft? Offene Fragen, denn die menschliche Trophäennahme muss nichts mit spirituellem Glauben zu tun haben: Es kann um Machtdemonstration, Abschreckung oder Entmenschlichung des Feindes gehen. Auch in Kultstätten und Heiligtümern können abgetrennte Schädel zusammen mit Waffen gefunden werden. In Österreich fehlen allerdings Belege für einen richtigen Schädelkult weitestgehend. Beim Kultwagen von Strettweg (Steiermark) aus dem 7. Jh. sind um eine zentrale Frauenfigur herum zwei Prozessionen mit Reiterkriegern angeordnet, die die die Opferung eines Hirsches und ein nacktes Menschenpaar zeigen. Auch auf Situlen, das sind Eimer aus Bronzeblech mit zum Teil sehr kunstvoll arrangierten Bilderfolgen, bilden Prozessionen und mögliche Opferhandlungen und Wettkämpfe ab.

Schwierig ist die Situation auch bei Tieropfern in der Rolle als Opfergabe, die möglicherweise von der als Nahrungsspender nicht zu trennen ist. Haustiere spielen dabei eine dominante Rolle, Wildtiere sind eher selten. Archäologisch betrachtet handelt es sich um Schlacht- und Speiseabfälle in Siedlungen, aber auch in Heiligtümern bzw. ganze Tiere auf Kultplätzen. Damit im Zusammenhang steht auch die mögliche Funktion des Tieres als Speisebeigabe oder Totenbegleiter. Oder als Rest eines Totenmahls in den Gräberfeldern. Die (wenigen) Tierbestattungen der Latènezeit sind aus Nord- und Ostfrankreich und deren benachbarten Regionen bekannt (Pferde, Rinder und Menschen). Welcher Gottheit geopfert wurde, lässt sich in der Regel nicht erkennen. Es lassen sich also bestimmte Handlungen, Riten und Traditionen erkennen, umso eindeutiger, wenn diese über einen längeren Zeitraum erfolgen. Welchen Zweck oder genauen Hintergrund sie dienen, ist hingegen oft unklar.

Die Archäologie alleine kann die Frage nach einer keltischen Religion daher nicht beantworten. Fazit bleibt, dass es sich sehr wahrscheinlich nicht, wie bei den Griechen oder Römern, um einen einheitlichen und übergreifenden keltischen Glauben handelte, sondern um regionale und begrenzte Ausprägungen.