Romano-Kelten in Österreich
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Die Urgeschichte in Österreich soll 15 v. Chr. mit der Annexion des keltischen Regnum Noricum durch die Römer im Rahmen des Alpenfeldzugs des Kaisers Augustus zu Ende gehen. Das Gebiet des heutigen Österreichs südlich der Donau gilt von diesem Zeitpunkt an als römisch, das Gebiet nördlich der Donau von etwa dem gleichen Zeitpunkt an als germanisch. Die Kelten hingegen, sind, so scheint es wenigstens, von heute auf morgen verschwunden. Soweit die politische Unabhängigkeit, der auf heutigem österreichischen Bundesgebiet lebenden Bevölkerungen betroffen war, stimmt diese Geschichte sogar einigermaßen. Im Kontext des Ostalpenfeldzugs in den Jahren 16 und 15 vor Christus und des darauffolgenden pannonischen Krieges zwischen 12 und 9 vor Christus wurde die Nordgrenze des römischen Reiches bis an die Donau vorgeschoben. Danach gehörte der Westen des heutigen Österreichs bis etwa Kufstein zur römischen Provinz Raetien. Das Gebiet östlich des Inns wurde hingegen zuerst zum annektierten Klientelstaat und dann um die Mitte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts zur Provinz Noricum. Ostösterreich östlich des Ostalpenrandes – das zuvor zu Noricum gehört hatte – wurde ab 8 nach Christus der damals neu eingerichteten Provinz Pannonien zugeschlagen. Damit war es mit der politischen Eigenständigkeit der ansässigen keltischen Bevölkerungen südlich der Donau weitgehend vorbei.
Nördlich der Donau ist die Situation etwas weniger klar, denn das römische Reich annektierte dieses Gebiet nicht. Das oberösterreichische Mühlviertel und das niederösterreichische Waldviertel scheinen schon während dieser Zeit dünn besiedelt gewesen zu sein. In der um 150 nach Christus verfassten Geografie des Klaudios Ptolemaios ist für die Bevölkerung dieser Region der Eigenname Kampoi überliefert. Ein Name, der gerne mit dem Fluss Kamp in Niederösterreich in Verbindung gebracht wird, aber auch mit dem Fluß Chamb der Bayerischen Oberpfalz. Die Namen beider Flüsse leiten sich vom gleichen keltischen Wort ab: *cambo, ‚gekrümmt‘. Das niederösterreichische Weinviertel hingegen war während der gesamten Eisenzeit einigermaßen dicht besiedelt. Die Latènekultur geht auch dort zwischen Mitte des 1. vorchristlichen Jahrhunderts und dem Anfang des 1. nachchristlichen Jahrhunderts langsam zu Ende und wurde durch angeblich ‚germanische‘ Formen abgelöst. Ob das allerdings das Ende der politischen Autonomie, der im Weinviertel lebenden Bevölkerungen bedeutet hat, ist ungeklärt. Der Autor Klaudios Ptolemaios belegt für diesen Raum um 150 nach Christus die Bevölkerungsnamen Racatae und Quadi, von denen der erste keltischen Ursprungs sein könnte, der zweite hingegen Germanisch ist. Es dürfte sich also an der Zusammensetzung der Bevölkerungen scheinbar recht wenig geändert haben. Die Annexion des Regnum Noricum erfolgte gewaltfrei und daher scheidet eine Ablöse der in diesem Raum lebenden Bevölkerung durch eine neu einwandernde Bevölkerung durch Eroberung aus. Es gab wohl bereits enge wirtschaftliche und politische Kontakte zwischen dem Regnum Noricum und dem römischen Reich vor dieser Annexion. Einen offiziellen Freundschaftsvertrag – ein sogenanntes hospitium publicum – hatten die Römer und Noriker bereits 170 vor Christus erstmals geschlossen. Spätestens um die Mitte des 1. Jahrhunderts vor Christus kam es zu einer Intensivierung der Beziehungen zwischen Noricum und Rom. Die römischen Beziehungen mit Noricum waren schon während der späten Latènezeit insbesondere wirtschaftlicher Natur. Das sogenannte Ferrum Noricum, das norische Eisen, war in Rom ein vor allem für die Waffenproduktion hoch geschätzter Werkstoff. Römische Händler ließen sich in bedeutenderer Zahl bereits vor Mitte des 1. Jahrhundert vor Christus am Kärntner Magdalensberg nieder. Etwa um die Mitte des 1. Jahrhunderts entstand dort bereits ein in römischer Tradition stehendes Forum, also ein Marktplatz mit einer großen Basilika, einer Markthalle, am Ostende und einer als Badehaus dienenden Halle am Westende des Platzes.
Etwa zur Zeit der Annexion Noricums durch das römische Reich wurde die Siedlung am Magdalensberg weiter ausgebaut und monumentalisiert; also in die Siedlung investiert. Erst um die Mitte des ersten Jahrhunderts nach Christus wurde die Siedlung auf das Zollfeld am Fuß des Berges verlegt. Am Magdalensberg korrespondiert diese Absiedelung chronologisch mit der Umwandlung Noricums von einem tributpflichtigen Klientelstaat in eine Provinz des römischen Reiches. Die politische Führung aus Rom ließ also vorerst für wenigstens ein halbes Jahrhundert lokal bestehende Strukturen weitgehend unverändert. Das zeigt sich auch an einer am Magdalensberg gefundenen Inschrift. Diese nennt eine Reihe der zum vormaligen Regnum Noricum gehörenden Stammesnamen und belegt das unveränderte Fortbestehen der zugehörigen Stammesstrukturen. Die römische Oberhoheit übernahm die Vorherrschaft und verlangte einen Teil der Wirtschaftsleistung als Tribut bzw. Steuerabgaben. Der Prozess der Romanisierung – also die Übernahme diverser Aspekte römischer Kultur, von der Architektur über die Materialkultur bis hin zur immateriellen Kultur – war daher gerade in Noricum ein vermutlich von den lokalen Eliten selbst ausgehender Anpassungsprozess, beginnend spätestens um die Mitte des ersten Jahrhunderts vor Christus. Noch zu Zeiten des Regnum Noricums als politisch unabhängiges, mit Rom verbündetes, selbstständiges Königreich. Nach der Annexion Noricums um 15 vor Christus verstärkt sich dieser Anpassungsprozess und zog sich über die Umwandlung in eine Provinz des Reiches hinweg bis wenigstens ins späte zweite oder gar dritte Jahrhundert nach Christus hin. Übernommen wurden daher in erster Linie Dinge und Praktiken, die der lokalen Elite Vorteile oder erhöhte Bequemlichkeit brachten. Dazu gehörte nicht zuletzt auch der Vorteil, von der politischen Führung in Rom als Angehörige der römischen Elite und nicht als Barbaren betrachtet zu werden. Um als vollwertiger Römer akzeptiert zu werden, musste man sich daher auch als Römer geben. Das zeigt sich dann auch sehr deutlich im archäologischen Befund. Gleichzeitig wurde aber der Bezug zur eigenen lokalen Vergangenheit keineswegs aufgegeben, sondern neu importierte römische Traditionen und Vorstellungen mit lokalen kulturellen Eigenheiten verschmolzen. Beispielsweise zeigt sich in römischen Inschriften eine geschlechtsspezifische Namensgebungspraxis. Diese weist darauf hin, dass durchaus bewusst bei eher im öffentlichen Raum stehenden Männern eine Orientierung auf römische Namensgebungstraditionen gewählt wurde, während bei den eher im häuslichen und lokalen Kontexten agierenden Frauen eine solche Anpassung nicht oder wenigstens weniger vorteilhaft war und man eher bei lokalen Namensgebungstraditionen bleiben konnte.
Ähnliche Erscheinungen zeigen sich auch im Bereich der Archäologie, insbesondere im Bereich der sogenannten „norisch-pannonischen Frauentracht“. Diese lässt sich insbesondere auf römischen Grabsteinen und in Gräbern des 1. und 2. Jahrhunderts nach Christus im norischen Raum und in den westlichen Teilen Pannoniens fassen. Bei einer genaueren Analyse der archäologischen Trachtbestandteile zeigt sich z.B., dass viele Elemente dieser Tracht eine über den norisch-westpannonischen Raum deutlich hinausgehende Verbreitung hatten. Tatsächlich finden sich die im Grab fassbaren Elemente dieser Tracht vom Oberrhein entlang der Donau bis nach Pannonien. Aber z.B. auch in nicht unbedeutender Konzentration in Böhmen und dann eine weite Streuung bis an die Ostseeküste. Es handelt sich um hauptsächlich sogenannte norisch-pannonische Flügelfibeln und Doppelknopffibeln sowie Gürtel mit Metallbeschlägen. Diese Verbindungen setzen aber auch Beziehungen fort, die schon in der Eisenzeit zwischen dem ostalpinen Raum und z.B. dem oberen Elbe Raum und über Mähren nach Südpolen und noch weiter in den Norden bestanden. Auf den Grabsteinen zeigt sich aber auch, dass die wesentlichsten Elemente der Tracht wie auch sonst immer die Kleidungsstücke selbst waren, nicht die Metallbestandteile, die zum Zusammenhalten und zur zusätzlichen Verzierung der Tracht verwendet wurden. Das Muster, dass sich insbesondere regionale bzw. sogar überregionale Frauentrachten und auch bei den Namen Frauennamen vergleichsweise lange halten, während bei der Männerkleidung und den Männernamen sich römische Traditionen viel rascher und schneller durchsetzen, ist dabei überhaupt nichts Besonderes. Im Wesentlichen lässt sich das auch in anderen Teilen des römischen Reiches wie in Gallien, Niedergermanien aber auch Syrien beobachten und stellt eine typische Erscheinung der Verschmelzung zwischen – teilweise bewusst – aufrechterhaltenen lokalen kulturellen Elementen und Vorstellungen und römischen Sitten und Gebräuchen dar.
Ein ähnliches Verschmelzen zwischen lokalen und römischen Traditionen lässt sich aber auch bei Höhenheiligtümern im Bereich des ehemaligen Regnum Noricums fassen. So befand sich zum Beispiel am Gipfel des Magdalensbergs eine Befestigungsanlage. Es befand sich vermutlich auch ein spätkeltisches Heiligtum innerhalb dieser Anlage, wenn die Befestigungsanlage nicht sogar generell ein Höhenheiligtum war. Dieses scheint jedenfalls vor der römischen Okkupation des Regnum Noricums errichtet worden sein, wurde dann aber vermutlich nach der Annexion ausgebaut und verstärkt monumentalisiert. Nach der Umwandlung Noricums in eine römische Provinz und der Absiedlung der Stadt aufs Zollfeld wurde dieses Heiligtum noch weiter ausgebaut. Das Heiligtum wird bis in die Spätantike weiter genutzt, und scheint in Folge der Christianisierung durch eine christliche Wallfahrtskirche ersetzt worden zu sein. Dieser langsame, mitunter schleichende und keineswegs in allen Lebensbereichen und Regionen Raetiens, Noricums und Pannoniens gleich verlaufende Verschmelzungsprozess hat zu jeweils lokalspezifischen provinzialrömischen Kulturen geführt. In abgelegeneren Regionen der römischen Donauprovinzen und wohl auch nördlich der Donau gab es einen ähnlichen Verschmelzungsprozess zwischen spätkeltischen, germanischen und teilweise auch römischen Ideen, Vorstellungen und Materialkulturen. Dort dürften keltische Elemente, eventuell sogar keltische Sprachreste, bis ins 4. Jahrhundert nach Christus und eventuell darüber hinaus weiter existiert haben.
Die Kelten in Österreich wurden also nicht mit der Annexion Noricums und der Eroberung Raetiens und Pannoniens in den letzten beiden Jahrzehnten vor Christus durch Römer abgelöst. Vielmehr wurden die österreichischen Kelten zunächst zu Romano-Kelten, die sich unterschiedlich stark an die neuen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse angepasst haben.